Politik und Corona...

...stellen uns enorme Aufgaben

Ja, die Situation für Bewohnerinnen und Bewohner in stationären Pflegeeinrichtungen ist aufgrund des Besuchsverbot sehr belastend. Das ist so und lässt sich nicht wegdiskutieren. Wenngleich wir alles dafür tun, dass unsere Bewohnerinnen und Bewohner sich nicht einsam fühlen und wir die zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten nutzen, um den Kontakt zu den Angehörigen herzustellen, so ersetzt dies alles nicht den persönlichen Besuch von Freunden, Bekannten und Familienmitgliedern. Dies ist uns als Verantwortliche für Altenpflegeinrichtungen seit Wochen sehr bewusst, erleben wir diese Situation doch tagtäglich.  Gerade vor dem Hintergrund, dass das Coronavirus nicht in Kürze verschwinden wird, brauchen wir hier Lösungen, die den Bedürfnissen und dem Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner einerseits sowie den Möglichkeiten und Anforderungen der Einrichtungen andererseits gerecht werden. Im Blick müssen wir hier auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die gerade in der aktuellen Situation wirklich Großartiges leisten! Doch die Würdigung dieser Leistung ist noch einmal ein Thema für sich und mündet nun scheinbar in der Zahlung des „Corona-Bonus“ für die Pflege. 

Diese schwierige Situation unserer Bewohnerinnen und Bewohner hat auch die Politik erkannt und dazu bewogen, hier entgegenzuwirken. So haben Ministerpräsident Bouffier und Gesundheitsminister Klose  in der Pressekonferenz am 28.4.2020 kurzerhand eine Lockerung der Besuchsbeschränkungen in den Pflegeheimen ab dem 4. Mai angekündigt. Zudem ist ein individuelles Besuchs- bzw. Schutzkonzept und die entsprechende Schutzkleidung für die Angehörigen vorzuhalten. Dieser Beschluss zur Lockerung des Besuchsverbotes wurde allerdings nicht mit den Verbänden abgestimmt – vielmehr wurden wir alle überrascht. Zeit zur Vorbereitung bleibt kaum, denn die Erstellung entsprechender Schutzkonzepte und deren Etablierung sowie die damit einhergehenden zusätzlichen Personalressourcen zur Koordination der Besuche und Besuchszeiten, sollen nun innerhalb weniger Tage seitens der Einrichtungen organisiert werden. Diese Ankündigung hatte bereits einen Tag später zur Folge, dass sich die Angehörigen bzgl. der Besuchsmöglichkeiten in den Einrichtungen informieren wollten – verständlicherweise. 

Wenngleich es um das Wohlbefinden von pflegebedürftigen Menschen geht, ist eine „Basta-Ansage“ hier nicht angebracht, denn die Gesamtsituation und die Anforderungen sind sehr komplex. 


Obwohl 

  • Politik und Behörden seit langer Zeit wissen, dass Schutzmittel in den Einrichtungen nur in begrenztem Umfang zu Verfügung stehen,
  • gerade die Altenpflege mit einer dünnen Personaldecke arbeitet und dabei fortlaufend neue Anforderungen zu bewältigen hat,
  • zusätzliches Personal zur Besuchskoordination bereitgestellt werden muss,
  • wir wiederholt erfolglos dazu auffordern, flächendeckend regelmäßige Coronatests in den Altenpflegeeinrichtungen durchzuführen,
  • bekannt ist, dass die zur Verfügung stehenden Testkapazitäten nicht ausgeschöpft werden,
  • wir aufgrund der allgemeinen Lockerungen der Maßnahmen mit steigenden Fallzahlen rechnen müssen, 
  • alte Menschen zur Risikogruppe gehören und im besonderen Maße geschützt werden müssen,
  • bekannt ist, wie verheerend COVID-19 Ausbrüche in Altenheimen verlaufen können,
  • Verantwortliche in Einrichtungen mit Strafanzeigen und erheblichen Haftungsrisiken im Falle eines COVID-19 Ausbruchs konfrontiert werden, 

werden Besuche „spontan“ wieder ermöglicht, ohne sich vorab dazu mit den Einrichtungen bzw. deren Dachverbänden über die Situation zu beraten. Insofern ist meine Forderung vom 1. April aktueller denn je, denn wir als Träger von Altenpflegeinrichtungen werden scheinbar nicht gehört! Vor diesem Hintergrund konterkariert ein solches Vorgehen all unsere Bemühungen, unsere Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen. 

Nach wie vor ist es ein dringendes Anliegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Altenpflegeinrichtungen regelmäßig zu testen. In vielen Städten und Regionen wird dies seit geraumer Zeit auch so praktiziert. Gesundheitsminister Spahn hat nunmehr auch noch einmal Ankündigungen diesbezüglich verlautbaren lassen. In unserem Landkreis bekommen wir als Träger von Altenpflegeeinrichtungen jedoch noch nicht einmal eine Antwort auf die Frage nach dem diesbezüglich geplantem Vorgehen. Spätestens mit dem Vorstoß unserer Landesregierung zur Lockerung des Besuchsverbotes, ist diese Haltung bzw. diese fehlende Reaktion der Behörden nicht mehr länger hinnehmbar. 

Darüber hinaus wurde auch nicht die Frage geklärt, wer die Schutzausrüstung für Angehörige letztendlich organisiert. Wenngleich wir mittlerweile über ausreichend Schutzkleidung verfügen, um im Falle von COVID-19 Erkrankungen in der Einrichtung, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für einige Tage rundum zu schützen, so sind wir doch längst nicht in der Lage, zusätzlich die Angehörigen unserer Bewohnerinnen und Bewohner damit „einzukleiden“. 

Nun ist es allerdings nichts so, dass wir das bestehende Besuchsverbot als alternativlos hingenommen haben. Seit einiger Zeit haben wir – unabhängig vom Beschluss der Landesregierung – uns Gedanken dazu gemacht, unseren Bewohnerinnen und Bewohnern kontaktfrei und im geschützten Rahmen, die Begegnung mit ihren Angehörigen zu ermöglichen. Solche Überlegungen brauchen Zeit und müssen zu den Rahmenbedingungen Vorort und den Hygienebestimmungen passen. Wir werden jedenfalls das von uns entwickelte Besuchskonzept ab der kommenden Woche umsetzen. 

Wir befinden uns derzeit in einer Situation, in der wir ständig abwägen müssen zwischen der drohenden Gefahr durch das Coronavirus einerseits und der Auswirkungen der Schutzmaßnahmen auf das Wohlbefinden unserer Bewohnerinnen und Bewohner andererseits. Dies ist in hohem Maße auch eine ethische Diskussion. Denn wenn wir die psychische Gesundheit an die oberste Stelle setzen, dann müssen wir auch mit den Konsequenzen umgehen, die damit in unserer aktuellen Situation verbunden sind. Und mit wir meine ich nicht nur die Einrichtungen, sondern vielmehr auch die politischen  Entscheidungsträger, die Behörden, das Gesundheitswesen und die Gesellschaft insgesamt. Genau dies sehe ich derzeit aufgrund der geschilderten Rahmenbedingungen nicht.