Page 16 - Miteinander + Füreinander - 02 / 2021
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Durchstarter
Und oftmals, da fragte man mich, wichtig find.
Herzlichen Glückwunsch! ob ich nichts Vernünftiges fände. Dass Chefärzt:innen auch nur Menschen
und nicht unfehlbar sind.
Aber – wir haben auch 100 Jahre alte
Hände gehalten und berührten Legenden-Haut. Und weil ich all das mühsam lernte,
Haben in erleichterte Gesichter will ich es nicht vergessen.
und dankbare Augen geschaut. Hiermit gelobe ich feierlich,
Geschafft! Wir gratulieren unseren sieben Wir haben die letzten Stunden dass ich mich, so lang ich lebe,
Pflegeschülerinnen zu ihrem bestandenen großer Menschen gesehen, an das Schülersein erinnern werde.
Examen. Fünf Gesundheits- und Krankenpfle- „Schick mal den Schüler ...“ und durften mit kleinen Menschen Dass ich eher 12 mal nach dem Namen frage,
ger*innen und zwei Gesundheits- und Kinder- die ersten Schritte gehen. als dass ich „der Schüler“ sage.
krankenpfleger*innen können jetzt in ihre beruf- Mal hörten wir den allerersten Lebensschrei, Ich will niemals Klingeln wegnehmen
liche Zukunft durchstarten – wir wünschen alles Wir stehen hier, wir leben, und mal waren wir beim letzten Atemzug dabei. und niemals einfach gehen,
Gute dafür! Sahen wie Menschen heilten – und wenn ich einen Fehler mache,
und niemand kann sagen,
wir hätten nicht alles gegeben. von außen und von innen. will ich dazu stehen.
Denn wir wurden bei Zeiten gekniffen, Und konnten etliche Schlachten Ich gelobe feierlich, niemals auf Warum-Fragen
bespuckt und berotzt, wir waren manchmal gegen die Krankheit gewinnen. „Haben wir schon so immer gemacht“
ganz unmetaphorisch angekotzt. Wir schauten in Körper hinein, zu sagen.
Wir haben uns verhoben, sahen wie ein Herz pulsiert, Mitdenken fördern sei stets mein Ziel,
trotz allem Kinästhetik-Wissen. wurden fasziniert vom Wunder Mensch, niemals will ich sagen „Frag nicht so viel“.
Haben zahlreiche Zäpfchen geschoben, und wie alles funktioniert. Ich will nicht schlecht über Kollegen reden,
und manchmal war alles beschissen. Manche Tage gingen subkutan, wenn diese den Raum verlassen.
Unsere frisch examinierten Pflegeschülerinnen Eine Liebeserklärung brauchte und bleiben uns für immer erhalten. Und mich nie von Patienten-Vorurteilen
mit der Leitung unserer Schwesternschaft. Manche Augenblicke verstanden es, ungefiltert leiten lassen.
für uns oft nicht viel. Drei kleine Worte nur:
selbstständig, orientiert und mobil. unser Großhirn umzugestalten. Meine Verantwortung sei mir stets bewusst,
Bei der Examensfeier hat Klassenspreche- und wohin Gedankenlosigkeiten führen.
rin Leah Weigand den beiden Kursleiterinnen Zum Labor, zum Bäcker, zur Patho Ich hab gelernt, dass Menschen immer werden, Und habe ich auch mal keine Lust,
Annette Engelbach und Ruth Schmidt einen und wieder von vorn. und jeder wurde geprägt. soll mein Patient das niemals spüren.
Blumenstrauß sowie einen Präsentkorb mit Wir sind gerne gerannt Und dass jede Person auf Erden, Und ich gelobe feierlich:
zahlreichen Leckereien übergeben. Ihre Erfah- und wurden drei Jahre lang irgendein Päckchen trägt. Ich achte auf mich.
rungen und Eindrücke aus der Ausbildungszeit „der Schüler“ genannt. Ich hab gelernt: Ich mache Pausen und springe nicht immer ein.
hat die frisch examinierte Pflegefachkraft in Bei manch einem Einsatz war ein Satz Wie man es in das Krankenzimmer hineinruft, Ich werde meine freien Tage nutzen
einem Gedicht verarbeitet, das sich durchaus auch der ganze Lernzuwachs: so schallt es auch meistens zurück, und muss nicht immer verfügbar sein.
kritisch mit der erlebten Realität auseinander- Ich kann jetzt Türklinken wischen und manchmal ist eine Minute nur zuhören Ich werde die Höhe des Bettes
setzt, aber auch ihre Freude und Faszination am und Kühlschränke auch. das größtmögliche Glück. an meine anpassen,
Pflegeberuf zeigt. Vielen Dank dafür! Denn wann immer was zu putzen war, Ich hab gelernt zu scannen: meinen Rücken trainieren
machte das „der Schüler“, dafür ist er ja da. in der Drei-Ebenen-Sicht,
Auch 13 Auszubildende der Krankenpflegehilfe Man hat uns beschuldigt, ignoriert von kranial nach kaudal, und mir auch mal helfen lassen.
haben Ende Oktober ihr Examen geschafft. und gnadenlos ausgenutzt. von ventral nach dorsal Und ich gelobe feierlich,
Herzlichen Glückwunsch zu eurem Erfolg, wir Wir haben uns nicht nur einmal gewünscht, und auch mit Pupillen-Licht. wenn ich beginne, grantig zu werden
sind stolz auf euch! dass diese Ausbildung nie begonnen hätte. Ich hab gelernt hinzuschauen, und die Jahre bis zur Rente zu zählen,
Wir waren oft die aller-allerletzten beginnend bei den Augenbrauen, keine Zeit zu verlieren
der Nahrungskette. bis runter zu den Waden. und einen anderen Job zu wählen.
Denn die Klinikstruktur gleicht gut und gerne Und manchmal auch bis hinter Ich weiß, ich werd‘s nicht immer schaffen,
wohl am ehesten einer Kaserne. die mächtigsten Fassaden. all die ehrenwerten Sachen,
Als unsere Mitbewohner nach Hause kamen, Ich hab gelernt die Neue zu sein, doch ich denke ohne Wollen,
standen wir gerade auf, an 15 schwersten ersten Tagen, da gibt es auch kein Machen.
und für uns war‘n durchzechte Nächte Unwissenheit zuzugeben Hier stehen wir, wir leben,
Arbeit im Krankenhaus. und ganz hemmungslos zu fragen. und niemand kann sagen,
wir hätten nicht alles gegeben.
Wir wurden unterbesetzt, unterbezahlt, Ich kann meinen Namen gut sagen, Die Schülerin, der Schüler
zur Genügsamkeit bequatscht, denn ich stellte mich 165 mal vor. haben die längste Zeit amtiert.
und von den blanken Bundes-Balkonen Ich lernte, nicht alles persönlich zu nehmen, Hallo Welt, wir kommen:
dafür dann auch noch beklatscht. und weiß: Manchmal bleibt nur Humor. Und man nenne uns examiniert.
Wir stehen ganz am Anfang Ich hab gelernt, meine Meinung zu äußern,
und waren doch manchmal am Ende. und dass ich meine Beobachtungen Leah Weigand, September 2021
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